Workshopbericht zur heilpädagogischen Übungshandlung
Vorstellung des Workshops "Heilpädagogische Übungsbehandlung" (Klenner und Lotz)

 

Es gibt mindestens drei Texte, die Aussagen zum Berufsbild einer Heilpädagogin machen:

a) die Blätter zur Berufskunde, hg. von der Bundesanstalt für Arbeit
b) das Berufsbild vom BHP
c) das Kompetenzprofil der Ständigen Konferenz von heilpäd. Ausbildungsstätten

In allen Texten wird die Heilpädagogische Übungsbehandlung genannt. Sie zählt zu den originären Tätigkeitsmerkmalen, speziellen Methoden bzw. Handlungskonzepten einer Heilpädagogin.

Der Begriff 'Übungsbehandlung' wird historisch zunächst im Bereich der Krankengymnastik verwendet und dann von Hünnekens und Kiphard als "Psychomotorische Übungsbehandlung".

In einem Aufsatz der Vierteljahresschrift für Heilpädagogik wird die Heilpädagogische Übungsbehandlung erstmalig von Klenner öffentlich im Jahre 1972 genannt. Drei Jahre später (1975) erscheint das bekannte 'Lehrbuch der Heilpädagogischen Übungsbehandlung' durch von Oy und Sagi.

Was aber bedeutet "Heilpädagogische Übungsbehandlung"? Wie ist das mit dem Üben und Be-handeln? In unseren Workshops wollen wir diesen Fragen nachgehen und zwei Aspekte diskutieren:

1.) den funktionalen Aspekt der HPÜ
2.) den lebensweltlichen Aspekt der HPÜ. Hier soll eine Brücke geschlagen werden zur Logotherapie Viktor Frankls, in der die Sinnfrage menschlichen Lebens im Mittelpunkt steht.  

Beide Aspekte sollen mit praktischen Beispielen dargestellt werden. Die TeilnehmerInnen werden gebeten, den Workshop als eine Art Ideenforum mitzugestalten!


Workshop 5: Heilpädagogische Übungsbehandlung am 25.11.95

(Dr. phil. Dieter Lotz)

In den folgenden drei Texten, die grundlegende Aussagen zu unserem Berufsbild machen, zählt die Heilpädagogische Übungsbehandlung (HPÜ) zu den originären Tätigkeitsmerkmalen der Heilpädagoginnen und Heilpädagogen: Blätter zur Berufskunde (hg. von der Bundesanstalt für Arbeit), Berufsbild des BHP (BHP) und Kompetenzprofil der Ständigen Konferenz von heilpädagogischen Ausbildungsstätten (ebenda).

Das Klennersche Sechsfelder-Schema zur HPÜ dient als Grundlage für verschiedene Aspekte heilpädagogischer Fragestellungen.

- Da das Schema allgemeingültige Entwicklungsphasen eines jeden Menschen umfaßt, läuft es nicht Gefahr, die Zielgruppe zu stigmatisieren. Es kann für den Heilpädagogen wie für den sog. Klienten gleichermaßen eine Art Lebensleitlinie bedeuten. Dazu einige anthropologische Fragen:

·   Wie nehme ich meine Welt wahr? Wie nehme ich 'meinen' Klienten wahr?
·   Was bestimmt mein Denken, meine Gesinnung?
·      Was ist mein handlungsleitendes Interesse; stimmen mein Denken und Handeln überein?
·    
Mit welchen Menschen arbeite/kooperiere ich in meinem Leben?
·       Welche Kommunikationsformen pflege ich?

- Es kann für Praktiker ein Beobachtungssraster darstellen und hat somit einen diagnostischen Wert.  In welchem Bereich hat der zu betreuende Mensch offensichtliche Entwicklungsprobleme? Wo hat er einen konkreten Förderbedarf? Die einzelnen Felder können auch als globale Förderziele definiert bzw. verstanden werden.

- Das Sechsfelder-Schema kann, z.B. für Kostenträger, als Tätigkeitsnachweis heilpädagogischer Arbeit dienen. Es muß dazu auf ein bestimmtes Individuum ("Betreuungsperson") bezogen werden. Jedes Feld muß entsprechend konkretisiert werden, z.B.

·         Welche Wahrnehmungsübungen sind durchgeführt worden
·         Welche kognitiven Übungen sind durchgeführt worden?
·         Welche eher nonverbalen Übungen ("Handeln") fanden statt (Z.B. Basale Stimulation;    
       Spielen; Psychomotorik)
·         Wie sind Kooperationen und Kommunikationen erfolgt?

-  Das Schema stellt einerseits eine Chronologie menschlicher Entwicklungsphasen dar (Psychogenese), es kann folglich sukzessive verstanden bzw. gelesen werden. Andererseits kann es als Kreislauf, ohne Anfang und Ende, also komplementär betrachtet werden. Denn schon im Mutterleib "kommuniziert" das Kind, und es nimmt über alle Sinnesmodalitäten wahr. In Wirklichkeit ergänzen und entsprechen sich die einzelnen Bereiche "kreuz und quer", sie gehören untrennbar zusammen. Die anthropologische These lautet, daß jeder Mensch zu allen genannten "Feldern" oder Phänomenen befähigt ist. Sie müssen nur evoziert, also individuell herausgelockt, werden. Das erklärt den nächsten Aspekt.

- Dem Sechsfelder-Schema liegen heilpädagogische Gedanken zugrunde. Wir gehen von einer bestimmten, wenngleich heterogenen, Zielgruppe aus, die wenigstens zwei Merkmale hat:

a) sie kann heilpädagogische Hilfe meist nicht expressis verbis (also ausdrücklich) be-anspruchen, was ein Zugehen des Heilpädagogen erfordert ("Geh-Struktur") und
b) sie kann und darf nicht einfach so belassen werden wie sie ist, weil sie sonst u.U. verwahrlosen würde. Die sog. Selbsthilfe ist u.U. erheblich eingeschränkt.

Die Legitimation des "pädagogischen Zugriffs" (P. MOOR) -hier in Form der HPÜ-  erfordert ein überschaubares und nachprüfbares Handlungsraster (das Sechsfelder-Schema), auf deren Grundlage Förderungen oder erzieherische Beeinflussungen erfolgen. Das wesentlich Heilpädagogische läßt sich nicht bloß auf funktionale Übungen reduzieren (obgleich sie eine bestimmte Berechtigung haben können). Denn:

- Förderungen in den Sechsfelder - Bereichen stehen unter heilpädagogischen Gesichtspunkten in einem am Lebenssinn orientierten Kontext. Daher bietet sich die Verbindung zur Logotherapie (begr. von Viktor E. FRANKL) an. In dieser Psychotherapieform steht die Sinnfrage bzw. Sinnproblematik von Menschen im Vordergrund. Zwei Kernaussagen der Logotherapie:

·    Sinn kann nicht gegeben aber gefunden werden.
·         Der Mensch hat einen Willen zum Sinn; er will in seinem Leben Werte verwirklichen.

Inwieweit eine Sinnproblematik bei der heilpädagogischen Klientel oder ihrer Angehörigen vorliegt, müßte erkundet werden.

FRANKL bietet drei Wertekategorien an, in denen Sinn gefunden werden kann:

            - die Erlebniswerte                 (Perzeption)

            - die schöpferischen Werte   (Werke schaffen)

            - die Einstellungswerte          (z.B. zu irreversiblem Leid)

Heilpädagogische Arbeit kann in logotherapeutischem Kontext als Hilfe zur Werteverwirklichung[1] verstanden werden. Die sechs Felder können jeweils mit den drei Wertekategorien gekoppelt werden und dazu Übungen oder auch Themen, die sich am konkreten Klienten orientieren,  erfunden werden.

- Die HPÜ kann ferner als lebensweltlich integriertes Konzept verstanden werden. Hat man einmal die sechs Felder verinnerlicht, diskutiert (vielleicht im Team) und vor allem konkretisiert, dann kann man sich von festgelegten Übungszeiten, von bestimmtem Übungsmaterial oder von bestimmten Übungsräumen lösen und "alles" im Alltag bzw. der jeweiligen Lebenswelt integrieren. In diesem Fall würde der sog. Übungstransfer, d.h. die Übungsübertragung aus dem Übungsschonraum in die "Normalität", entfallen. Übungen verlieren ihren Sonderstatus, wenn das individuell (normal) Mögliche im Lebensalltag praktiziert wird.

- Durch das Prinzip der Variation (vgl. den Workshopbericht von Klenner) erhält die HPÜ einen spezifisch heilpädagogischen Akzent: Über- und Unterforderungen können vermieden werden, indem die Übungsteilnehmer -im Schema (und praktisch!)- vor- und zurückgehen können. Der Fortschritt kann hier buchstäblich im Rückschritt liegen. Dem Sechsfelder-Schema entsprechend braucht kein Mensch unbeachtet oder ungefördert bleiben, weil nach unten hin bis zum elementarsten Bereich, dem Wahrnehmen, variiert werden kann.

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Eine Bitte an die Teilnehmer des Workshops und die Leser dieses Berichtes:

Das Thema HPÜ ist nicht abgeschlossen. Die hier genannten Aspekte sind unvollständig und hoffentlich diskussionswürdig. Über Rückmeldungen und Anregungen wären die Autoren sehr erfreut.

 

Prof. Dr. Wolfgang Klenner   
Am Iberg 7      
33813 Oerlinghausen   

052026268-0001@t-online.de
 Dr. Dieter Lotz
Jungfernstr. 15
64291 Darmstadt  

Dr.Lotz@t-online.de  

 


[1]Lotz, Dieter: Aspekte einer sinnorientierten Heilpädagogik. In: Kurz, W./Sedlak, F. (Hg.):
    Kompendium der Logotherapie und Existenzanalyse. Tübingen 1995 (S. 516-527)

 

erschienen in: BHP (Berufsverband der Heilpädagogen): Methodensuche - Methodensucht in der Heilpädagogik? 
Eine Standortbestimmung. Bericht der Fachtagung des Berufsverbandes der Heilpädagogen 
vom 24. bis 26. November 1995 in Bad Lauterberg



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